TV-KOLUMNE ZU „DIE FERTIGESSEN-FALLE“ - WIR HABEN DAS ESSEN VERäNDERT. JETZT VERäNDERT DAS ESSEN UNS

Künstliche Intelligenz weiß, wie viele Schnitzel wir in der nächsten Woche verspeisen wollen. Was aber wissen wir noch von unseren Mahlzeiten? Vielen schmeckt Fertigessen mindestens so gut wie frisch Gekochtes. Das ist nicht nur ein Schönheitsfehler. Eine Großstudie schlägt Alarm.

Das kommt uns nicht in die Tüte. Oder – eben doch: An der Ruhr-Uni Bochum werden von 6 Uhr an täglich 4000 Mahlzeiten zubereitet, zehn Köche und 40 Hilfskräfte arbeiten daran. Und alles, was auf den Speiseplan kommt, besteht aus Fertigzutaten. Convenience-Grad: 100 Prozent. Früher hieß es Kartoffeln schälen, früher war Gemüse zu putzen. Früher arbeitete viel Personal an zwei Gerichten zur Wahl. Heute gibt es neun. Für die Vielfalt mit weniger Leuten wird aufgetaut. „Die Fertigessen-Falle“ übertitelt 3sat seinen TV-Bericht: „Wie Tütenprodukte unsere Ernährung verändern“. Der Chef der Uni-Mensa erklärt seine neue Küchenkunst so: „Wir versuchen die gute Convenience quasi mit unserer Handschrift zu bearbeiten.“ Da kommt zwar der Nachtisch komplett aus der Packung. Dann aber werden ein paar Früchte oben drapiert, dazu Schokostreusel und Vanillesauce. Schon halten es die Studenten für frisch. Verliert sich der Sinn für echte Frische?

Der Geschmacksverlust wird gefährlich

Experiment an der Fachhochschule Münster. Zwei Fertiggerichte sollen mit frischgekochten Speisen aus gleichen Zutaten verglichen werden. Frisch kostet viel Zeit, bis zu einer Stunde. Dafür sind die Waren billiger. Für die Gemüsepfanne als Fertiggericht werden 1,75 Euro errechnet – frisch nur 0,79 Cent. Beim Fisch sind es 7,99 Euro als Fertiggericht, 2,95 Euro frisch.  42 Testesser kosten im Sensorik-Labor. Sie probieren in Einzelkabinen, damit sie sich nicht gegenseitig beeinflussen. Beim Fischgericht führt die Frage, was besser schmeckt, zu einem Unentschieden, ganz genauso bei der Gemüsepfanne – obwohl die Fertiggerichte erkannt wurden. Nur die Testesser, die selten Convenience essen, finden zu 63 Prozent das Frischgemüse besser. Ernährungswissenschaftler Guido Ritter urteilt: Wir haben uns schon so an Fertiggerichte gewöhnt, dass wir das Gewohnte auch besser oder zumindest gleich gut finden. Wie verlieren den Geschmack an Qualität. Harmlos ist das nicht. Ritter warnt nicht nur vor Fertigsalaten aus der Packung. Er berichtet von Untersuchungen, nach denen 62 Prozent der Produkte aus Salatpackungen hygienische Mängel aufgewiesen hat. Vor allem Mais gilt als häufig bakt­erienbelastet. Auch sonst gibt es oft viel Fett und wenig Vitamine aus der Tiefkühltruhe.

Trifft Künstliche Intelligenz auf dumme Konsumenten?

Das Geschäft läuft großartig. Der Umsatz mit Convenience-Produkten in Deutschland lag 2014 noch bei sechs Milliarden Euro, 2022 erreichte er neun Milliarden. Zuwachs: 50 Prozent. Da wird aus Wasser nicht Wein gemacht, oft aber Fleisch und Fisch. Nur gut die Hälfte vieler Fertigprodukte ist da tierisch, der Rest stabilisiertes Wasser. Um das System zu optimieren, wird probeweise in manchen Kantinen Künstliche Intelligenz eingesetzt. Es genügt, die abgeräumten Teller unter eine Kamera zu halten. Die erfasst grammgenau, von welcher Zutat wie viel nicht gegessen wurde. So lassen sich Einkäufe und Speisepläne optimieren, passend zu prognostizierten Wetterdaten.  Längst kann Künstliche Intelligenz sehr präzise vorhersagen, wie viele Schnitzel der dumme Konsument in der Folgewoche kaufen und essen wird.

Behörden-David gegen Industrie-Goliath

In Deutschland klagt das Bundeszentrum für Ernährung, eine ziemlich unbekannte Behörde für ein ziemlich wichtiges Thema, wie gering die Mittel zur Aufklärung sind im Vergleich zum massiven Werbedruck der Hersteller und Anbieter. In Spanien schlägt eine großangelegte Studie Alarm. Seit 22 Jahren werden alle zwei Jahre 21.000 Probanden abgefragt. Nur einige Ergebnisse: Wer fünf hochverarbeitete Produkte täglich konsumiert, verdoppelt sein Risiko, an Bluthochdruck zu erkranken. Menschen, die viele Fertiggerichte essen und zuckerhaltige Getränke mögen, sterben früher: Krebs, Diabetes, Kreislauferkrankungen - Prost, Mahlzeit!

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